Frieden: Erinnerung und Auftrag zum Ende des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren (1914 – 1918)

„Die Kriegsgräber sind die großen Prediger des Friedens“.

(Albert Schweitzer)

 

Friedensprojekt Europa

Zur Zeit ist der Zusammenhalt in Europa an vielen Stellen brüchig. Nationale Interessen werden vielerorts anders gewichtet als in vergangenen Jahrzehnten. Seit über 70 Jahren herrscht in Mitteleuropa Frieden. Vielen Zeitgenossen ist das selbstverständlich geworden, sie wissen nicht mehr, dass wesentliche Faktoren für das Zusammenwachsen Europas die militärischen Katastrophen und die Folgen der nationalen Egoismen des 20. Jahrhunderts waren. Die Erinnerung an die Geschichte kann dafür sensibilisieren, welch hohes Gut der Frieden und der respektvolle Umgang der Völker miteinander sind. Gerade in Zeiten des wachsenden Populismus und nationalistischer Tendenzen, die Missgunst schüren und auf Dauer Unfrieden bringen können, steht es auf der Tagesordnung, diese europäische Friedensbasis zu stärken. Initiativen wie die Aktion Sühnezeichen und der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge sind unablässig an der Stelle tätig, einerseits die Erinnerung hochzuhalten und zum anderen den internationalen Dialog über die Völkerverständigung zu führen.

 

Erinnerung an das Kriegsende vor 100 Jahren (1918 – 2018)

Vor 100 Jahren ging der Erste Weltkrieg zu Ende. 17 Millionen Menschen aus 50 Ländern kamen ums Leben. In der Erinnerung der meisten Deutschen ist dieser Krieg lange Zeit ausgeblendet worden, weil der Zweite Weltkrieg eine kaum zu ermessende Zahl von soldatischen und zivilen Opfern zur Folge hatte. In einigen Ländern Europas ist aber die Erinnerung an die Opfer des Ersten Weltkriegs sehr viel präsenter als in Deutschland. In Nordfrankreich, etwa an der Somme, aber auch in Belgien, z.B. in Flanders Field in Ypern, sind durch Soldatenfriedhöfe die Spuren sichtbar und sie werden bewusst wahr genommen. Für Briten, Franzosen und Belgier blieb der Erste Weltkrieg im kollektiven Gedächtnis bewusst, alleine wegen der hohen Zahl der gefallenen Soldaten. Im November 2017 haben der französische Staatspräsident Macron und Bundespräsident Steinmeier in den Vogesen das erste Deutsch-Französische Museum zum Ersten Weltkrieg eingeweiht. Das ist ein enormer Schritt zu gemeinsamen Wegen des Gedenkens!

 

Lokale Erinnerungsorte

Auch in Köln und der Region sind Spuren dieses Krieges sichtbar, und es lohnt sich, sich mit ihnen zu beschäftigen. In vielen Städten und Dörfern gibt es Mahnmale für die Opfer des Krieges von 1914 -1918. Oft sieht man an ihnen vorbei, sie haben vielfach den Charakter von „Heldengedenkstätten“ und entsprechen auch nicht mehr dem heutigen Verständnis von Gedenkstätten. Und doch sind sie Zeugnis ihrer Zeit und können auch heute zum Innehalten und Nachdenken bringen – wie die Stolpersteine von Gunter Demnig, der mit den messingverkleidetenen Pflastersteinen im Stadtbild an die deportierten und vertriebenen jüdischen Bürger und Roma in der NS-Zeit erinnert.

In manchen evangelischen und katholischen Kirchen finden sich Gedenkstätten für die Gefallenen der Gemeinden. Im Kölner Stadtbild ist die Erinnerung an den Ersten Weltkrieg an mehreren Stellen präsent. So gibt es auf dem Südfriedhof neben dem Haupteingang in einem großen Rund eine Reihe von 27 Gräbern von Menschen, die 1918 beim ersten Luftangriff auf Köln ums Leben kamen, darunter viele Kinder. In der Nähe des Britischen Ehrenfriedhofs liegen rund um eine Buche die deutschen Kriegsgräber von 1914 -1918. Zentraler Kölner Ort zum Kriegsgedenken ist die Ruine Alt-St. Alban, an der zum Volkstrauertag Kränze abgelegt und Reden in Vertretung der Stadt und der Bezirksregierung gehalten werden.

Der Theologe und Ethiker Albert Schweitzer schrieb: „Die Kriegsgräber sind die großen Prediger des Friedens“. An den Gräbern zu stehen, stellt einem den ganzen Irrsinn vor Augen, den dieser Krieg bedeutet hat und den jeder Krieg bedeutet. Besuche an Kriegsgräbern in anderen Ländern bringen einen auf die Spur, um jeden Preis und immer wieder neu die Versöhnung und die Verständigung mit den europäischen Nachbarn zu suchen. Solche Orte sind friedenspädagogische Lernorte für die jeweils nächste Generation.

 

Evangelische Friedensethik

Die evangelische Kirche sieht sich durch die Friedens- und Versöhnungsbotschaft der Bibel dazu aufgefordert, nach Kräften für den Frieden einzutreten. Mit Diskussionen über das friedliche Zusammenleben der Völker und den biblischen Bildern, ethischen Leitlinien zur Gewaltfreiheit und Themenreihen im Religionsunterricht fördert sie das Friedensengagement. Dabei ist sie sich dessen bewusst, dass sie im Zusammenhang mit dem Ersten Weltkrieg durch ihre Verschmelzung von Christentum und Nationalismus einen großen Teil an Mitverantwortung für die Tragödie des Krieges trägt. Waffen wurden gesegnet, und mit kriegstreiberischen Predigten ist die Kirche in die Irre gegangen. „Gott mit uns“ heißt es am Leipziger Völkerschlachtdenkmal von 1913, und so war es auch auf Koppelschlössern der Soldaten beider Weltkriege zu lesen.

Im Ringen um das Zurechtrücken des christlichen Koordinatensystems hat Dietrich Bonhoeffer bei einem Friedenstreffen internationaler Jugend 1934 in Fanö gesagt: „Es gibt keinen Weg zum Frieden auf dem Weg der Sicherheit. Denn Friede muss gewagt werden, ist das eine große Wagnis, und lässt sich nie und nimmer sichern. Friede ist das Gegenteil von Sicherung.“ Die erste Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) beschloss 1948 bei ihrer Gründung in Amsterdam: „Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein.“

 

Was dieser Grundsatz für konkrete Friedens- und Sicherheitspolitik in einer komplexen globalen Gesamtlage bedeutet, ist nicht formelhaft und einfach zu sagen. Es ist im Zusammenhang jeder einzelnen Sachfrage sachkundig und möglicherweise auch kontrovers zu diskutieren. Aber die Zielrichtung ist klar. Christen sind durch die Friedensbotschaft Jesu von Nazareth dazu herausgefordert, immer wieder neu nach Wegen zum Frieden und nach Alternativen zur Konfliktlösung mit militärischen Mitteln zu fragen und dazu zu mahnen.

 

Autor Dr. Bernhard Seiger ist Superintendent des Evangelischen Kirchenkreises Köln-Süd.