Gerechter Frieden statt gerechter Krieg

Die Landessynode der Evangelischen Kirche im Rheinland (EKiR) hat anlässlich des Endes des Ersten Weltkrieges vor 100 Jahren ein Friedenswort verabschiedet. Es soll auf allen Ebenen der rheinischen Kirche mit dem Ziel diskutiert werden, Kirche des gerechten Friedens zu werden. Enthalten sind auch Forderungen nach einem Atomwaffen-Abzug und dem Stopp von Rüstungsexporten.

Die Evangelische Kirche im Rheinland fordert den längst überfälligen Abzug der letzten US-amerikanischen Atomwaffen aus Deutschland, die im rheinland-pfälzischen Büchel lagern. Das ist ein Aspekt eines Friedenswortes, das die Landessynode anlässlich des Endes des Ersten Weltkrieges vor 100 Jahren als Diskussionsimpuls beschlossen hat.

Zudem soll die Bundesregierung den Atomwaffenverbotsvertrag, den 122 Staaten der Vereinten Nationen im Juli 2017 völkerrechtlich verbindlich beschlossen haben, unterzeichnen. „Wir bekennen, dass die Drohung mit atomaren, aber auch chemischen und biologischen Massenvernichtungswaffen nicht mehr als Mittel legitimer Selbstverteidigung angesehen werden kann. Im Vertrauen auf Gottes Frieden wollen wir uns nicht länger von solchen Waffen umgeben, schützen und gefährden lassen“, heißt es in dem beschlossenen Papier, das sich auch grundsätzlich gegen den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern ausspricht.

Was dies bedeutet, erklärt das Friedenswort so: „Kirche des gerechten Friedens zu sein bedeutet, Krieg und kriegerische Mittel als Möglichkeit der Konfliktlösung, als ‚ultima ratio‘, zu überwinden, Schritt für Schritt. Gewaltfreie Lösungen sind möglich. Sie sind schmerzhaft, weil sie eigene, besonders wirtschaftliche, Interessen berühren. Sie sind langwierig und müssen mühsam gelernt werden. Sie sind aber die Lösungen, die sich als roter Faden durch die Bibel ziehen und biblisch geboten sind.“

Zu den konkreten Handlungsempfehlungen, die in dem Papier genannt werden, gehören u. a. die Verstärkung der Friedensbildung für Gewaltfreiheit und der Einsatz von zivilen Konfliktlösungsstrategien in Schule und Jugendarbeit, z. B. durch den Einsatz der Ausstellung „Frieden geht anders – aber wie?“ oder das Programm „peacemaker“ der Evangelischen Jugend im Rheinland. Zudem will die Evangelische Kirche im Rheinland den Pilgerweg der Gerechtigkeit und des Friedens des Ökumenischen Rates der Kirchen (WCC) und der Initiativen für Gerechtigkeit und Frieden der Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen (WCRC) unterstützen und sich daran beteiligen.

Auf der Landessynode 2021 sollen die Rückmeldungen von allen Ebenen der Kirche zur Beratung vorgelegt werden.

Das gesamte Dokument hat die EKiR auf ihrer Internetseite zum Download bereitgestellt: https://www.ekir.de/www/downloads/LS2018-B30.pdf

 

 

Friedenswort der EKiR – eine Resonanz

 

„Wir sind doch alle Menschen und sollten uns auch wie Menschen verhalten und als Geschwister leben.“  (Mevlüde Genc)

25 Jahre nach dem Brandanschlag in Solingen, bei dem sie zwei Töchter, zwei Enkelinnen und eine Nichte verlor. Der folgende Beitrag ist Mevlüde Genc gewidmet, eine „große“ muslimisch geprägte „gewaltfreie“ Frau, die trotz unsäglichen persönlichen Leids, öffentlich gegen Hass und Rache eintritt.

„Kriege seien nicht zu vermeiden, ist eine Verneinung der Souveränität des Verstandes.“

(Aus der Erklärung des Frauenkongresses in Den Haag, 1915)

Eine Resonanz auf einige Aspekte des Friedenswortes der rheinischen Landessynode 2018 mit Kölner Lokalbezügen – ein Beitrag zu einem friedensethischen Diskurs anlässlich des Endes des Ersten Weltkrieges vor 100 Jahren, der nicht vermeidet, Frauen als Akteure der Geschichte zu benennen.

 

„Der Einsatz von Giftgas – Perversion der Wissenschaft und ein Zeichen der Barbarei.“ (Clara Immerwahr, 1915)

Mit meinen jüdischen und muslimischen Kolleginnen der interreligiösen Erzählwerkstatt machten wir uns 2014 auf Spurensuche nach pazifistischen und frauenbewegten Stimmen im Umfeld des Ersten Weltkrieges. Neben anderen mutigen radikalpazifistischen Frauen wie Lida Heymann und Anita Augsburg erfuhren wir über den Lebensweg von Clara Immerwahr, der sich auf tragische Weise auch mit Köln und der Wahner Heide in Verbindung bringen lässt. In Breslau in eine jüdische Familie geboren, konvertiert Clara Immerwahr später zum Protestantismus. Sie studiert Chemie und wird die erste promovierte Chemikerin in Deutschland. Gemeinsam mit ihrem Ehemann forscht sie in Karlsruhe an der Herstellung von Ammoniak, um mit dem daraus herstellbaren Kunstdünger den Hunger in der Welt zu bekämpfen – so ihre Perspektive. Fritz Haber, ihr ebenfalls jüdischer Mann, entdeckt außerdem das Chlorgas.  Kurz nach Beginn des Ersten Weltkrieges heißt es für ihn: „In Friedenszeiten gehört ein Wissenschaftler der Welt, aber in Kriegszeiten gehört er seinem Vaterland.“1 Mit diesen Worten lässt er sich in die Armee einberufen, um den Einsatz von Giftgas im Krieg für die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zu erforschen.  Als leitender Angestellter der Abteilung Kampfgaswesen testet er mit den Soldaten auf dem Truppenübungsplatz in der Wahner Heide bei Porz, wie man  die von ihm erfundenen und dann von Bayer Leverkusen produzierten Giftgaskatuschen so zum Einsatz bringt, dass das giftige Gas den Feind und nicht sie selbst trifft. Am 22. April 1915 findet der erste Giftgaseinsatz der Welt in Ypern in Belgien statt und tötet mehrere zehntausend Männer, Frauen und Kinder auf einen Schlag! Das wird im Kaiserreich als großartiger Erfolg für das Vaterland gefeiert. Der Kaiser, der dieses Reich regiert und am Ende des Krieges über 100.000 Giftgastote zu verantworten und den Tod von mehr als eine Million Armeniern am Ende des Ersten Weltkrieges während der Entstehung des modernen türkischen Staates in Kauf genommen hat, kann sich heute noch kommentarlos auf einer Reiterstatue hoch zu Rosse an der Hohenzollernbrücke in Köln positionieren!

Während Fritz Haber nun ganz und gar dem Vaterland gehört, sagte Clara Immerwahr deutlich in der Öffentlichkeit, dass die Erforschung von Chlorgas und der Einsatz von Giftgas zu militärischen Zwecken „Perversion der Wissenschaft und ein Zeichen der Barbarei“ sei!

 

Liebe Clara Immerwahr!

Großen Respekt! Für diese deutlichen Worte schätzen wir Dich sehr! Hättest Du doch bloß weiterhin mit Deinem Mann in der Ammoniakforschung gearbeitet und dabei herausgefunden, wie die Ernährungslage der Weltbevölkerung  zu optimieren wäre!! Du warst Wissenschaftlerin durch und durch! Was wäre gewesen, wenn nicht Du, sondern er Elternzeit genommen und die Betreuung Eures kleinen Sohnes übernommen hätte?? Hättest Du weitergelebt? Wären weniger unschuldige Männer, Frauen und Kinder in Belgien durch Giftgas getötet worden und hätten weniger Menschen an Hunger gelitten?

Als ihr Mann mit seinen Kollegen in ihrer Dienstvilla in Berlin-Dahlem den Sieg über die Schlacht bei Ypern feiert, schreibt Clara Immerwahr am 3. Mai 1915 ihren letzten Brief, geht in den Garten ihrer Villa und erschießt sich mit der Dienstwaffe ihres Mannes…..

 

Liebe Clara Immerwahr!

Was für ein unbeschreiblicher Verlust für Deinen 13jährigen Sohn und für die ganze Welt! War Dein Tod ein politisches Bekenntnis? Du hast eine deutlich kriegskritischere Haltung von Deinem Mann erwartet. Hast Du auch deutliche Worte gegen den Krieg von der protestantischen Kirche, der Du nun angehörtest, erwartet? Du hast sie nicht gehört, im Gegenteil, Du konntest bis auf wenige Ausnahmen  nur kriegstreiberische Predigten im ganzen Land von den evangelischen Kanzeln hören und Segnungen von Waffen  und Soldaten sehen…. Hätte es einen Unterschied gemacht, wenn zu der Zeit schon Frauen zum Pfarramt zugelassen worden wären?

Noch im Jahre 1916 hätte Clara Immerwahr am 24.  April im Ostergottesdienst in der Antoniterkirche zu Köln den folgenden Schlusschoral hören können:

„Du Gott warst ja mit uns! Der Sieg, er war Dein. Wir loben Dich, oben, Du Lenker der Schlachten, und flehen: mögst stehen uns fernerhin bei, dass deine Gemeinde nicht Opfer der Feinde!  Dein Name sei gelobt!   Oh Herr mach uns frei!“

Zwar gab es auch eine Reihe von „Friedenspfarrern“, die sich etwa in der seit 1892 bestehenden „Deutschen Friedensgesellschaft“ engagierten, zum Beispiel Friedrich Siegmund-Schultze, der im Friedenswort der Kirche erwähnt wird.

In einem Flugblatt erklärten nach Beginn des Krieges Otto Umfried und Ludwig Quidde, die beiden Vorsitzenden der Friedensgesellschaft: „Über die Pflichten, die uns Friedensfreunden jetzt während des Krieges erwachsen, kann kein Zweifel bestehen. Wir deutschen Friedensfreunde haben stets das Recht und die Pflicht der nationalen Verteidigung anerkannt. Wir haben versucht zu tun, was in unseren schwachen Kräften war, gemeinsam mit unseren ausländischen Freunden, um den Ausbruch des Krieges zu verhindern. Jetzt, da die Frage, ob Krieg oder Frieden, unserem Willen entrückt ist und unser Volk von Ost, Nord und West bedroht, sich in einem schicksalsschweren Kampf befindet, hat jeder deutsche Friedensfreund seine Pflichten gegenüber dem Vaterlande genau wie jeder andere Deutsche zu erfüllen.“

Auch Pfarrer Siegmund-Schultze, Mitinitiator des „Weltbundes“ und Gründervater des Deutschen Versöhnungsbundes, teilte diese Auffassung bis zum Ende des Krieges. Die große Mehrzahl der christlichen Pazifistinnen und Pazifisten in Deutschland wurde nicht durch das Evangelium, sondern erst durch die  Kriegserfahrung bekehrt. 2

 

Liebe Clara Immerwahr!

Wusstest Du eigentlich um Deine mutigen Gesinnungsschwestern, die unmittelbar vor Deinem gewaltsamen Tod zu einem internationalen Frauenfriedenskongress in Den Haag zusammenkamen? Was wäre gewesen, wenn auch Du vom 21. April bis zum 1. Mai in Den Haag mit beraten und beschlossen hättest? Vielleicht wäre die Begegnung mit diesen mutigen Frauen genau das Umfeld gewesen, das Dir in Berlin fehlte? Sie waren unerschrocken in ihrer Planung, klar in ihrer pazifistischen Haltung und mutig in ihrem Tun. Sie stellten sich gegen den Krieg und kämpften für das Wahlrecht für Frauen.

Während sich am 3. Mai 1914 die Teilnehmer der Friedenskonferenz christlicher Kirchen, auch Pfarrer Siegmund -Schultze, am Kölner Hauptbahnhof mit dem Versprechen, trotzdem Freunde zu bleiben, verabschiedeten und sich während des Krieges außer Stande sahen, weiterhin zu treffen, sind einige radikalpazifistische Frauenrechtlerinnen wie z.B. Lida Heymann und Anita Augsburg schon eifrig dabei, den ersten internationalen Frauenfriedenskongress in Den Haag vorzubereiten. Während sich die Soldaten in den Kriegsgräben feindlich gegenüberstehen, findet dieser Kongress Ende April 1915 mit über 1.000 Frauen aus 13 kriegsführenden und neutralen Staaten Europas, den USA und Kanada statt. Nach 10 Tagen Begegnung, Beratung und Beschlüssen, verabschieden sie gemeinsam folgende Erklärung:

Wir Frauen aus vielen Ländern, zum internationalen Kongresse versammelt, erklären hierdurch über allen Hass und Hader hinaus, der jetzt die Welt erfüllt, uns in der gemeinsamen Liebe zu den Idealen der Gesittung und Kultur verbunden zu fühlen, auch wo unsere Ziele auseinandergehen.

Wir erklären feierlich: jeder Neigung zu Feindschaft und Rache zu widerstehen, dagegen alles Mögliche zu tun um gegenseitiges Verständnis und guten Willen zwischen den Nationen herzustellen und für die Wiederversöhnung der Völker zu wirken.

Wir erklären: Der Lehrsatz, Kriege seien nicht zu vermeiden, ist sowohl eine Verneinung der Souveränität des Verstandes als ein Verrat der tiefsten Triebe des menschlichen Herzens. Von der innigsten Teilnahme beseelt für die Leidenden, Trostlosen und Unterdrückten, fordern wir, Mitglieder dieses Kongresses, die Frauen aller Nationen feierlichst auf, für ihre eigene Befreiung zu arbeiten und unaufhörlich für einen gerechten und dauernden Frieden zu wirken.

 

  1. PROTEST:  Wir protestieren gegen den Wahnsinn und den Gräuel des Krieges, der nutzlos Menschenopfer fordert und die vielhundertjährige Kulturarbeit der Menschen zerstört.
  2. LEIDEN DER FRAUEN IM KRIEG: Wir protestieren aufs Entschiedenste gegen das furchtbare Unrecht, dem Frauen in Kriegszeiten ausgesetzt sind und besonders gegen die entsetzlichen Vergewaltigungen von Frauen, welches die Begleiterscheinungen jedes Krieges sind.
  3. FRIEDENSSCHLUSS: Wir Frauen der verschiedensten Nationen, Klassen, Parteien und Glaubensrichtungen sind uns einig im Ausdruck warmen Mitgefühls mit den Leiden Aller, die unter der Last des Krieges zu leiden haben. (Es folgen weitere 17 inhaltliche Punkte)3

 

Diese Pazifistinnen erreichen es, dass Formulierungen ihrer Erklärung in den amerikanischen Friedensplan von Wilson Eingang fanden. Und dennoch geht die Giftgasproduktion weiter. Die USA verwendeten „Agent Orange“ im Vietnamkrieg, um Wälder zu entlauben, damit sich niemand verstecken konnte. Außerdem sollte so die Nahrungsproduktion gestört werden. Im ersten Golf-Krieg wurde seitens Saddam Hussein Giftgas gegen iranische Soldaten und später auch gegen die kurdische Zivilbevölkerung z. B. des Dorfes Halabdscha angewendet. In den aktuellen kriegerischen Auseinandersetzungen in Syrien wurden Giftgaseinsätze sowohl seitens der syrischen Regierung als auch des IS nachgewiesen.

 

Liebe Clara!

Die Evangelische Kirche im Rheinland hat recht, dass sie endlich 100 Jahre nach dem Ersten Weltkrieg ihre Mitschuld bekennt, indem sie beschließt: „Mit der nationalistischen, kriegsbefürwortenden Haltung des Protestantismus zum Ersten Weltkrieg, mit der Segnung von Waffen und Soldaten und den kriegstreiberischen Predigten von den Kanzeln im ganzen Land ist die evangelische Kirche in die Irre gegangen.“

Du behieltest bis heute recht, als Du öffentlich aussprachst:  ‚Der Einsatz von Giftgas ist eine Perversion der Wissenschaft und ein Zeichen der Barbarei‘.4

Die Pazifistinnen von Den Haag haben recht, wenn sie uns dazu aufrufen die Souveränität unseres Verstandes nicht zu verneinen, um damit Krieg und den damit verbundenen Wahn, die Gräuel, die Menschenopfer und die Zerstörung der Kulturarbeit zu verhindern.

Mevlüde Genc hat recht und zeigt solch eine Größe, wenn sie mit der Erfahrung von unsagbarem Leid und dem Verlust ihrer nächsten Angehörigen sagen kann, dass wir als Geschwister leben sollen, und damit den Pazifistinnen von 1915 völlig zustimmt, wenn sie erklären, jeder Neigung zu Feindschaft und Rache zu widerstehen, dagegen alles Mögliche zu tun, um gegenseitiges Verständnis und guten Willen zwischen den Nationen herzustellen.

 

1 Siehe www.emma.de  darin: von Judith Rauch 28.5.2014 mit ‚Clara Immerwahr die Chemikerin‘, www.emma.de/artikel/das-drama-der-clara-immerwahr-317057 (abgerufen am 20.6.2018, 18:23 Uhr).

2 Ullrich Hahn, Die Gründung des Versöhnungsbundes 1914, www.versoehnungsbund.de/2014-uh-gruendung-vb    (abgerufen 20.6. 18.04 Uhr).

3 www.emma.de  100 Jahre frauenfriedenskongress, www.emma.de/artikel/frauenkongress-wir-fordern-frieden-329995 (abgerufen am 20.6.2018, 18:36 Uhr).

4 www.emma.de von Judith Rauch 28.5.2014mit ‚Clara Immerwahr die Chemikerin‘, www.emma.de/artikel/das-drama-der-clara-immerwahr-317057 (abgerufen am 20.6.2018, 18:23 Uhr).

 

Autorin Dorothee Schaper ist Pfarrerin und Studienleiterin an der Melanchthon-Akademie und Frauenbeauftragte des Evangelischen Kirchenverbandes Köln und Region.